Zwei Bürgerinnen aus dem Zollernalbkreis wandten sich an MdL Hans-Peter Hörner und schilderten ihm ihre Erlebnisse mit dem 9,-EUR Ticket:
Billigticket, ach du grüne Neune!
Ein voller Erfolg – so die Bilanz der GRÜNEN, das Experiment 9,-EUR Ticket betreffend. Stimmt, wenn man mit dem Attribut „voll“ die mit Menschenmengen überladenen Züge meint. Kam man noch einigermaßen zivilisiert mit dem ICE von Stuttgart nach Berlin, so änderte sich das schlagartig bei der Anschlussverbindung mit der Regionalbahn nach Potsdam.
Auf dem Hbf Berlin angekommen, mussten wir uns durch eine Flut von Touristen, die alle die Gelegenheit nutzten, billig durch Deutschland zu reisen, zum gesuchten Bahnsteig durchkämpfen. Die Lautsprecherdurchsagen konnte man inmitten des ohrenbetäubenden babylonischen Sprachgewirrs kaum verstehen. Dann fuhr der RE ein und mit ihm das nächste Chaos. Wir wurden regelrecht in den Wagon gequetscht, damit die Türe überhaupt zuging. Es war stickig, keine Klimaanlage spürbar, einige Leute zogen sich die Maske unter das Kinn, um Luft zu schnappen, doch diese bestand lediglich aus den Ausdünstungen der Schweißdrüsen dicht gedrängter Leiber. Corona lässt grüßen! Wer einen Sitzplatz ergattert hatte, konnte vor der Endstation Potsdam nicht aussteigen, da kein Durchkommen war. Endlich am Ziel angelangt, bemerkte ich, dass das ICE-Rückfahrtticket abhanden gekommen war. Gestohlen etwa?
Der Preis für 2 Rückfahrkarten per ICE Berlin- Stuttgart belief sich auf 200,-EUR. Der Mann am Schalter war so freundlich, optimale Verbindungen für das 9,-EUR Ticket auszudrucken. Das bedeutete zwar, vier Mal umsteigen, aber sei’s drum.
Umstieg in Magdeburg – verzweifelte Suche nach einer Sitzgelegenheit. In einem Wagon waren – oh Wunder – noch 2 Plätze frei. Doch bald wussten wir warum: Ein betrunkener Jugendlicher hatte sich mehrfach erbrochen, sodass der Mageninhalt den Boden bedeckte. Der Gestank war nicht zu ertragen. Nix wie raus. Wir zogen es vor, zu stehen und zu warten, bis an der nächsten Station jemand ausstieg. Endlich, 2 seitliche Klapphocker im Fahrradraum frei – was für ein Luxus!
Chaos in Erfurt. Gleisumstellung. Wer nicht gut zu Fuß ist, hat Pech. Erneutes Gedränge um einen Sitzplatz. Diesmal Glück. Doch der Gang zur Toilette lieferte den Höhepunkt des Horrortrips: Klo und Waschbecken mit Müll gefüllt, überall Dreck und Klopapier, welches von der Pisse auf dem Boden aufgesogen war. Wir beschwerten uns beim Schaffner. Der arme Mann beklagte, dass diese „Sauerei“ infolge des Ansturms durch das 9,-EUR-Ticket exzessiv zugenommen habe. Er erlaubte uns, ein Foto zu machen, denn er war selbst vollkommen verbittert über die täglichen Zumutungen. Er sei Schaffner und nicht dafür zuständig, den Dreck anderer Leute zu beseitigen. Er nahm sich dennoch ein Herz und schritt mit Putzausrüstung zur Tat. Wir dankten es ihm aufrichtig.
Ein Unglück kommt selten allein: In Bietigheim-Bissingen blieb plötzlich der Zug stehen. Aufgrund eines Defekts in der Oberleitung im Stuttgarter Hbf konnte er nicht weiterfahren, ebenso sämtliche Züge aus anderen Richtungen. Man irrte mit schwerem Gepäck von einem Gleis zum anderen, niemand wusste weiter. Dann eine Durchsage: alle Passagiere umsteigen in die einzige S-Bahn. Alles, was Beine hatte, rannte los. Im Gedränge, das einer Massenpanik ähnelte, verlor ich meine Reisebegleiterin aus den Augen. Wieder war man wie in einen Viehwagen gepfercht. Alte und Behinderte hatten das Nachsehen, jeder war sich selbst der Nächste. Eine Station weiter stieg auch noch eine Horde grölender Kerle zu. Wieder keine Ruhe.
Nach 13 Stunden Stress endlich zurück in Balingen.
Inzwischen fallen erneut reihenweise Bahnverbindungen aus, diesmal wegen Radabnutzung….Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene? Mit der grünen Billigmethode jedenfalls ist das eine Milchmädchenrechnung.