Quelle: Eigene Komposition
In einem bemerkenswerten Interview, das Thilo Sarrazin, Anfang Februar dieses Jahres dem französischen Journalisten Nicolas Faure gab, spricht der frühere Berliner Finanzsenator Klartext. Auf die Frage zu seiner politischen Position in Bezug auf Genderideologie und Frühsexualisierung meinte Sarrazin: „Biologisch gesehen, werden 99 Prozent der Menschen mit einem eindeutigen Geschlecht geboren. Gesellschaftlich gesehen, sollte jeder Mensch frei sein, seine Identität, auch was Sexualität und Gender betrifft, selbst zu bestimmen. Die sogenannte Genderforschung halte ich weitgehend für wissenschaftlich wertlos und damit überflüssig. Kinder und Jugendlich brauchen einen gesellschaftlichen Schutzraum, in der sie ihre Identität, auch ihre sexuelle, frei entwickeln können. Dazu gehört auch, dass man in der Erziehung sexuelle Fragen erst dann zu einem Thema macht, wenn sie sich durch die individuelle sexuelle Reifung objektiv stellen.“
Zudem diagnostiziert Sarrazin, der im Sommer 2020 nach jahrzehntelanger Mitgliedschaft aus der SPD ausgeschlossen wurde, einen auf breiter Front stattfindenden Qualitätsverlust im deutschen Schulsystem. Der ideologisch gesetzte Primat der Bildungsgleichheit sorge durch Nivellierung der schulischen Anforderungen dafür, dass „Angebote und Anforderungen im Unterricht nicht an der individuell unterschiedlichen geistigen Leistungsfähigkeit“ ausgerichtet werden. Sarrazin: „So kommt es dazu, dass unter den weniger begabten Schülern ein immer größerer Teil nicht einmal die Basiskompetenzen in Lesen, Schreiben, Mathematik erwirbt, während gleichzeitig bei den begabten Schülern das Leistungspotential nicht annähernd ausgeschöpft wird.“ Der promovierte Volkswirt, der eine Gleichbehandlung aller Schüler unabhängig ihrer Glaubenszugehörigkeit zwingend fordert und Sonderbehandlungen beispielsweise muslimischer Schüler ablehnt, lehnt auch eine sogenannte „geschlechterneutrale“ Sprache ab: „Die deutsche Sprache ist mit dem generischen Maskulinum bereits genderneutral. Der scheinbare Reformbedarf ergibt sich nur daraus, dass man aus ideologischen Gründen das generische Maskulinum nicht akzeptieren will.“
Der streitbare Publizist hält den Status ante bei den Bologna-Reformen zwar für wünschenswert aber nicht für realistisch: „Als das deutsche Bildungssystem noch leistungsfähig war, also bis vor circa 40 Jahren, entsprach das deutsche Abitur in seinem Bildungsniveau in etwa dem Bachelor an einem amerikanischen College. Folgerichtig begann ein deutsches akademisches Studium gleich auf Master-Niveau. Der deutsche Diplom-Ingenieur oder Diplom-Physiker war beim Diplomexamen häufig sogar jünger als ein amerikanischer Absolvent mit konsekutivem Bachelor- und Masterabschluss.“
Die unverhohlene Absage Sarrazins an eine ideologisierte Bildungspolitik überrascht nicht. Immerhin hat er gewisse Kritikfelder direkt auf den Punkt gebracht. Der sachlich ruhigen Stimme der Vernunft wird in der aktuell „woke“-hysterischen Bundesrepublik wahrscheinlich nicht das notwendige Gehör verschafft.
Thilo Sarrazin: Die Gründe für den Niedergang des deutschen Schulsystems – Riposte Laique
Genderforschung: wissenschaftlich wertlos und damit überflüssig (philosophia-perennis.com)