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Die mediale Fokussierung auf das Thema „Digitalisierung“ als heilsbringende Strategie, die die Bildungs- und Ausbildungsproblematik unsres Landes zu lösen hilft, darf nicht ohne kritische Einwände zur Kenntnis genommen werden. Letztens erwähnte ich die Verzückung des bayerischen Bildungsministers Piazolo, der den riesigen Schub lobte, den die Digitalisierung der Schulen durch die Corona-Pandemie erfahren habe. Lernen in einer vernetzten Welt, heißt die Devise der Digitalisierungsjünger und eine erste Zwischenbilanz des derzeit laufenden Pilotversuchs „Digitale Schule der Zukunft“ hat angeblich „die Vorteile eindrücklich gezeigt: mehr Selbstständigkeit und aktives Lernen, mehr vernetzte Kommunikation und Zusammenarbeit, mehr Differenzierung und Individualisierung sowie mehr Anschaulichkeit.“
Es stellt sich die Frage, wieso denn ausgerechnet im November 2022 die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), vor dem Anstieg der Internet-Nutzung durch Kinder und Jugendliche während der „Pandemie“ warnte. Es handelt sich dabei nicht um eine die Digitalisierung begleitende „Untergangserzählung“ (Grunwald), sondern um die Ergebnisse einer Studie der Krankenkasse DAK Gesundheit. Danach „stieg die durchschnittliche Verweildauer von Zehn- bis 17-Jährigen in den sozialen Medien werktags um 66 Prozent an. Die Nutzungsdauer von Onlinespielen an diesen Tagen stieg demnach um 75 Prozent.“ Etwa 1.200 Familien mit Kindern im Alter zwischen zehn und 17 Jahren ließen Forscher des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) befragen. Die Erhebungsdaten wurden mit den Zahlen aus September 2019 und April 2020 abgeglichen.
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) stellt fest, im Distanzunterricht der Corona-„Pandemie“ die Schule „als Ort des Lernens und der Begegnung“ fehlte und berichtet, dass sich mittlerweile „Hinweise auf psychosoziale Probleme, Lernlücken und eine Öffnung der sozialen Schere“ als Folge der Corona-Maßnahmen zeigen. Piazolo scheint mit seiner Darstellung der positiven Seiten des Fernunterrichts nachträglich die völlig überzogenen und teilweise illegalen Corona-Bekämpfungsmaßnahmen durch den bayerischen Ministerpräsidenten rechtfertigen zu wollen. Das ist nicht nur durchsichtig und peinlich, sondern auch realitätsfern. Denn „nach den pandemiebedingten Schulschließungen und Distanzunterricht entwickelten sich die Kenntnisse und Bildungschancen von Kindern in Deutschland so ungleich wie nie.“ (bpb)
Der Inhaber des den Lehrstuhls für Bildung und soziale Ungleichheit an die Universität Erfurt Marcel Helbig: „Der aktuelle Forschungsstand zu den Folgen der Schulschließungen für die Kompetenzentwicklung der Kinder ist sehr unübersichtlich und bezieht sich ausschließlich auf die Folgen des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Studien aus Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg sowie Belgien, den Niederlanden und den USA kommen dabei zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Während einige feststellen, dass die Schüler und Schülerinnen in Mathematik und der jeweiligen Muttersprache geringe Kompetenzrückstände aufweisen, stellen andere fest, dass die Lernlücken aus dem ersten Lockdown so groß sind, als hätte es noch nicht einmal digitalen Unterricht gegeben […].“